Kunst regt auf

Im Dezember war ich auf einem Kurzbesuch in Milano. Ich kannte die Stadt bisher kaum, also orientierte ich mich an «den Orten, die man gesehen haben muss». Auf der Piazza Degli Affari steht er, «il dito», der Finger. Rundherum jugendliche – und weniger jugendliche – TouristInnen, die allesamt den Mittelfinger hochstreckten und lachend ihre Selfies schiessen. Auf den ersten Blick finde ich: sinnlos und obszön. Unanständig und deplatziert.

Dann der zweite Blick. Zwar ist der überdimensionale Mittelfinger unübersehbar, doch die restlichen Finger sind – abgetrennt. Darum rasch im Reiseführer nachlesen: Geschaffen hat die Skulptur der Künstler Maurizio Cattelan. Die Hand stellt einen entkräfteten faschistischen Salut sowie die Missbilligung solcher Ideale dar und trägt den Namen L.O.V.E. Was für «Liebe» steht, aber auch für Libertà- Odio- Vendetta-Eternità (Freiheit-Hass-Rache-Ewigkeit).

Mit etwas mehr Wissen und auf den dritten Blick finde ich: Berechtigt und durchaus… Kunst. Denn Kunst soll und darf aufregen, sie darf den zweiten und dritten Blick erzwingen, um dann Gedanken auszulösen und zu berühren. Wenn sie zum Diskutieren anregt – noch besser.

Im öffentlichen Raum gelingt Kunst dies wohl besonders gut. Dort wird sie den Menschen so quasi «in den Weg» gestellt. Sie stört die gewohnte Harmonie, konfrontiert uns mit Ungewohntem. Hält uns agil. Täte solche Kunst – es muss ja nicht gerade «il dito» sein – Köniz manchmal nicht auch gut?